Wasserstoff für die Region

Ein wichtiger Baustein für die Energiewende

© Martin Albermann

Wasserstoff könnte zu einer tragenden Säule der Energiewende werden. Damit das gelingt, braucht es jedoch Produzenten, Abnehmern, Speicherkapazitäten und vieles mehr. Gemeinsam mit einer Reihe von Partnern untersucht das KODIS die Potenziale der Technologie und arbeitet an konkreten Anwendungsfällen. 

Das Element, das die Energiewende ermöglichen soll, ist so klein wie kein anderes im Periodensystem. Und es ist überaus simpel aufgebaut: ein Proton, ein Elektron, kein weiterer Schnickschnack. Doch so winzig und banal der Wasserstoff erscheint, so riesig ist sein Potenzial.

Wasserstoff soll Deutschland helfen, bis 2045 klimaneutral zu werden. Konkret soll er als Speicher für erneuerbaren Strom dienen, er soll Autos und Lkw antreiben und Wohnungen heizen, er soll die Kohle in den Stahlhütten ersetzen und das Erdgas in den Chemiefabriken. Unter Expertinnen und Experten gilt er als ein wichtiger Baustein der Energiewende. Im ganzen Land laufen Vorbereitungen, um das Element bald flächendeckend einsetzen zu können. Die Bundesregierung konzipiert ein fast 10 000 Kilometer langes Leitungsnetz, das 2032 fertig sein soll, und pumpt Milliarden von Euro in Förderprojekte. Überall schießen Wasserstoff-Valleys, Labs und Hubs aus dem Boden. Erste Großunternehmen wie der Stahlhersteller Thyssenkrupp beginnen, ihre Produktion umzustellen. Der Markthochlauf des Wasserstoffs steht kurz bevor.

Auch das Forschungs- und Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme KODIS des Fraunhofer IAO auf dem Bildungscampus in Heilbronn beschäftigt sich intensiv mit der Thematik. Drei Projekte haben die Forschenden hier schon umgesetzt, drei weitere laufen noch. »Weil das Thema so komplex ist, finde ich es unglaublich spannend, mich damit zu beschäftigen«, sagt Projektleiter Felix Zimmermann.

Startschuss war 2020, als das KODIS begann, die Potenziale für Wasserstoff in der Region Heilbronn-Franken zu untersuchen. Die Forschenden schlossen sich dafür mit der Hochschule Heilbronn, dem Ferdinand-Steinbeis-Institut sowie der TU München zusammen. Der Name des institutionenübergreifenden Projekts: H2-Innovationslabor. Das Ziel war, herauszufinden, was die Region benötigt, um zu einem wichtigen Standort der Wasserstoffwirtschaft zu werden.

Im ersten Projektteil führten Felix Zimmermann und seine Kolleginnen und Kollegen Interviews mit einem guten Dutzend Firmen, die sich bereits mit Wasserstoff befassen. Neben Audi in Neckarsulm war auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Lampoldshausen dabei. Ergänzt durch weitere Gespräche und Netzrecherche entstand nach und nach eine Liste von 182 Akteuren aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, die sich potenziell mit Wasserstoff auseinandersetzen möchten.

Im nächsten Schritt wurden diese potenziellen Akteure in ein regionales Ökosystemmodell gebettet.  Wer kann wen mit was unterstützen? Wer liefert, wer verbraucht, wer stellt her? Damit sich Wasserstoff flächendeckend als Energieträger durchsetzen kann, braucht es nicht allein Produzenten und Abnehmer. Es braucht Speichertechnologien und Armaturen, es braucht Gasfirmen und Logistiker. Ein hochkomplexes System. 

Das Modell zeigte den Forschenden, was Heilbronn-Franken noch fehlt, um zu einer Wasserstoffregion zu werden. Ein Betankungsnetzwerk zum Beispiel, oder Teststationen zur Anwendung von wasserstoffbasierten Prozessen. »Wir haben gemerkt:  Wenn wir diese Lücken füllen, könnte ein echter Wettbewerbsvorteil für die Region entstehen«, sagt Felix Zimmermann.

Gesagt, getan: In einer zweiten Projektphase, die seit April 2022 für drei Jahre läuft, wollen Felix Zimmermann und Co. zwei der vielversprechendsten Bereiche erforschen — und dabei helfen, Wasserstoff dort in die Anwendung zu bringen.

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»Wenn wir diese Lücken füllen, könnte ein echter Wettbewerbsvorteil für die Region entstehen.« Felix Zimmermann, Leiter des Teams »Cognitive Distribution Systems« am Fraunhofer IAO
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Timo Stöhr, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team »Cognitive Distribution Systems« am Fraunhofer IAO

Konkret geht es um zwei Orte: ein Asphaltmischwerk in der Region und das Rechenzentrum für den geplanten KI-Innovationsparks IPAI in Heilbronn. Der Verfahrenstechniker Timo Stöhr, einer von Zimmermanns Kollegen am KODIS, hat untersucht, wie diese Wasserstoff einsetzen können.

»Im Asphaltmischwerk gibt es große Potenziale in der Wärmeerzeugung« sagt Timo Stöhr. Die Anlage benötigt große Mengen Energie, um die Bestandteile des Asphalts zu erhitzen und zu homogenisieren. Diese Energie erzeugt es hauptsächlich aus Braunkohle. »Das erklärte Ziel des Betreibers ist es, hier deutlich nachhaltiger zu werden«, sagt Timo Stöhr. In Zukunft will er die Wärme mit Wasserstoff erzeugen. Dabei soll das Element in einem technischen Industriebrenner verbrannt werden. 

Das KODIS will dem Betreiber helfen, diese kostenintensive Umstellung zu bewältigen. »Wenn es diesem Werk gelingt, dann könnten die Erkenntnisse auch auf andere Werke übertragbar sein«, sagt Stöhr.

Im zweiten Teil des Forschungsprojekts, dem geplanten Rechenzentrum für den KI-Innovationspark IPAI in Heilbronn, hat das KODIS ähnliches vor. Rechenzentren sind extrem energieintensiv. In ganz Deutschland schlucken sie ungefähr 2,5 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. »Unsere Untersuchungen zeigten, dass Wasserstoff hier vor allem für die Notstromversorgung interessant ist«, sagt Timo Stöhr. Üblicherweise kommen dabei Diesel-Aggregate zum Einsatz.

An dieser Stelle ein kurzer Ausflug in die Chemie. Wasserstoff ist im Gegensatz zu Erdöl, Wind oder Sonnenenergie keine Energiequelle, sondern ein Energiespeicher. Mit dieser Fähigkeit soll er eine wichtige Rolle in der Energiewende einnehmen. Denn erneuerbare Energien haben einen großen Nachteil: Sie sind volatil. Die Sonne scheint nicht immer, der Wind hat auch mal Flaute. Es braucht also eine Möglichkeit, die Energie langfristig zu speichern — genau hier ist Wasserstoff eine mögliche Lösung. Wasserstoff ist flexibel einsetzbar, leicht transportierbar und zudem klimafreundlich, wenn er mit Erneuerbaren Energien hergestellt wird.

Überrascht war Timo Stöhr von der Menge an Wasserstoff, die für die Notstrom-Aggregate eingelagert werden müssten. Als Teil der kritischen Infrastruktur müssen viele Rechenzentren 48 Stunden lang autark arbeiten können. »Da Wasserstoff ein sehr leichtes Gas mit großem Volumen ist, müsste man dafür einige Container in Vorrat halten«, sagt Stöhr. Eine Herausforderung, die sie mit alternativen Speichermethoden angehen wollen. 

Um die Ideen des H2-Innovationslabors umzusetzen, stellt das KODIS-Team mögliche Einsatzbereiche wie Shuttle-Busse, Transportdrohnen, Tankstellen vor.  »Das H2-Innovationslabor ist mittlerweile zu einer etablierten Marke in der Region geworden«, sagt Teamleiter Felix Zimmermann.

Das andere Großprojekt, mit dem sich Zimmermann und seine Kolleginnen und Kollegen beschäftigen, läuft derzeit auf dem Campus des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen an. Unterstützt durch Forschungs- und Transferaktivitäten des Fraunhofer IAO, der Hochschule Heilbronn, der TU München und der Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH will das DLR dort ein riesiges Testgelände für Wasserstoffanwendungen errichten: das Hydrogenium.

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Unternehmen sollen dort Brennstoffzellen testen oder Bauteile aller Art auf ihre Wasserstofffestigkeit prüfen können. Aufgebaut wird es aus mehreren Containern, die über Anschlüsse für Wasserstoff oder auch Stickstoff verfügen. Das Land Baden-Württemberg und die Europäische Union fördern das Projekt mit 6,9 Millionen Euro.

Die Konzeption und den Betrieb des Testgeländes übernimmt das DLR. Wenn es 2026 fertig gestellt ist, soll die Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH gezielt auf Unternehmen zugehen. Damit sie dies bestmöglich tun kann, entwickelt das KODIS ein digitales Tool, mit dem Firmen ihr ganz eigenes Potenzial für Wasserstoff abschätzen können.

Das wird längst nicht das letzte Projekt sein, in dem sich die Forschenden des KODIS mit Wasserstoff beschäftigen. Großes Potenzial sehen die Forschenden auch in der Verbindung von Wasserstoff, Datenanalysen und intelligenten Steuerungssystemen. »Sowohl die Verfügbarkeit der Erneuerbaren als auch der Verbrauch von Energie unterliegen ständigen Schwankungen«, sagt Felix Zimmermann. »KI könnte hier zur effizienten Nutzung der Systeme beitragen.« Insgesamt sehen Zimmermann und sein Kollege Timo Stöhr Innovationsmöglichkeiten: »Wenn es uns gelingt, grünen Wasserstoff in die breite Anwendung zu bekommen, dann ist unsere Wirtschaft nicht nur CO2-neutral, sie kann auch wieder einen Vorreiterposten auf der Welt erlangen.«

Großes Potenzial sehen die Forscher in der Verbindung von Wasserstoff, Datenanalysen und intelligenten Steuerungssystemen, um möglichst effizient mit schwankenden erneuerbaren Energien und Verbräuchen umgehen zu können. KI ist also auch hier ein Thema. 

Projekt

HYDROGENIUM

Feature

Testraum Wirklichkeit

Blogbeitrag

Mit Knallgas zur Energiewende: Wasserstoff als Speichermedium der Zukunft?