Die Frage, wie die digitale Welt von morgen aussehen wird, könnte sich auch im Norden von Heilbronn entscheiden. Denn hier, auf einem 23 Hektar großen Stück Land zwischen einem Gewerbegebiet, dem Neckar und der A6, wird ab 2024 ein neues Wertschöpfungszentrum für Künstliche Intelligenz errichtet, das ab 2027 der Hauptsitz des »Innovation Park Artificial Intelligence« (Ipai) sein wird. Ipai selbst wurde bereits 2022 in Heilbronn gegründet, doch am künftigen Standort soll er zu einem der relevantesten Innovationsökosysteme für angewandte Künstliche Intelligenz (KI) in Europa heranwachsen. Das Land Baden-Württemberg unterstützt das Projekt mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von 50 Millionen Euro, weitere Mittel werden durch die Dieter Schwarz Stiftung bereitgestellt.
Das Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, an dem Akteurinnen und Akteure aus Forschung, Bildung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammenkommen, um gemeinsam an Zukunftslösungen zu arbeiten. Denn im Alleingang, das lehrt die Erfahrung, bewegt man heutzutage nichts mehr. Wer Märkte von morgen erobern will, muss Allianzen schmieden. »Die Komplexität, sowohl der Probleme als auch der Lösungen, nimmt zu«, sagt KODIS-Leiter Bernd Bienzeisler. Ob klimagerechte Stadtentwicklung, Energie- oder Mobilitätswende: Die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, sind gewaltig. Wenn wir sie meistern wollen, müssen wir die moderne Gesellschaft effizienter organisieren.
Künstliche Intelligenz und Quantencomputing etwa können dabei helfen, sie sind aber nur Mittel zum Zweck. Und so bleibt die Frage: Wie setzen wir sie ein? Beispiel Mobilitätswende: Intelligente Sharing-Angebote könnten helfen, die Zahl der PKW drastisch zu reduzieren, was dem Klima helfen würde. Doch wie schafft man diese Angebote? Wie sehen die technischen Lösungen aus? Wie verknüpft man verschiedene Mobilitätsformen miteinander? Welche rechtlichen Hürden gilt es zu überwinden? Und wie überzeugt man eigentlich Kundinnen und Kunden von einer neuen Technologie?
»Wer eine Innovation etablieren will, hat es mit systemischen Problemen zu tun«, so Bienzeisler. Lösungen finde man daher nicht im stillen Kämmerlein, sondern, indem man in den Dialog mit anderen trete und transdisziplinäre Kooperationen starte. Es gehe, so Bienzeisler, darum, unterschiedliche Wissensquellen anzuzapfen und ein Problem aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, um tragfähige Lösungen zu entwickeln. »Wir sprechen hier von ›Open Innovation‹«, sagt Bienzeisler. »Nur wer Forschungs- und Entwicklungsnetzwerke knüpft, kann im internationalen Wettlauf mithalten.«
Die Vielzahl der Einflussgrößen, die auf neue Technologien und Geschäftsmodelle einwirken, bringt aber noch ein Problem mit sich: Man kann Innovationen, die sich in komplexe Umfelder einfügen müssen, mit herkömmlichen Mitteln kaum testen. »Simulationen und Modelle greifen zu kurz, weil sie die Wechselwirkungen der Innovation und ihrer Umwelt nur unzureichend abbilden können«, sagt Bernd Bienzeisler. Die Wirklichkeit folgt eben keinen simplen Mechanismen, sondern verhält sich eher wie eine Blackbox: Man kann etwas hineingeben, weiß aber nie genau, was dann passiert. Funktioniert die Technologie wie geplant? Wird das Produkt von den Kunden angenommen? Wie verhält sich die Konkurrenz? Wie reagiert der Gesetzgeber? Viele Entwicklungen lassen sich schlicht nicht vorhersagen.
Zugleich sind Unternehmen und Gesellschaft aber vermehrt darauf angewiesen, dass neue Technologien getestet werden. Was tun? An dieser Stelle kommt eine neue Innovationsmethode ins Spiel, die helfen soll, das Dilemma zu lösen: das Reallabor. Bei diesem Konstrukt handelt es sich um einen zeitlich und oft räumlich oder sachlich begrenzten Testraum, in dem innovative Technologien oder Geschäftsmodelle unter realen Bedingungen erprobt werden. »Diese Experimentierräume sind eine Möglichkeit, die Innovation und ihre Wechselwirkungen mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft in einem klar definierten Umfeld zu testen.«