Schlüsseltechnologie der Zukunft

Warum Quantencomputing alles ändern könnte

© Martin Albermann
Spart Zeit und Energie: Ein Quantencomputer kann komplexe Berechnungen, für die herkömmliche Computer mitunter Jahrzehnte bräuchten, sehr viel schneller lösen. Das hilft Unternehmen bei der Optimierung der Prozesse.

Das Quantencomputing birgt enorme Potenziale für Unternehmen. Wer das für sich nutzen möchte, ist gut beraten, rechtzeitig ein umfassendes Verständnis dafür zu entwickeln, seine Mitarbeitenden zu schulen und den Forschungsstand im Blick zu behalten, denn die Entwicklung schreitet rasant voran. Eine Einführung.

Dr. Christian Tutschku arbeitet in einer Welt, in der die menschliche Vorstellungskraft an ihre Grenzen kommt. Es ist die Welt der Quanten. »Diese Welt ist auf den ersten Blick wenig verständlich«, sagt der Leiter des Teams Quantencomputing am Fraunhofer IAO in Stuttgart. Doch die Quantenwelt liefert fundamentale Erklärungen, zum Beispiel, was unsere Welt im Innersten zusammenhält. Wer sich ihre Eigenschaften zunutze macht, könnte die Welt verändern. 

Quantenmechanik ist ein zentraler Treiber technologischer Entwicklung – sie macht unsere Wirtschaft nachhaltiger und bietet große Potenziale für Unternehmen. »Quantencomputing hat das Potenzial, ein absoluter Gamechanger zu sein«, sagt der 33-jährige Tutschku. Um das zu verstehen, ist ein Blick auf den Quantencomputer und seine potenzielle Rechenleistung nötig. »Theoretisch ist bewiesen, dass es Algorithmen gibt, die im Gegensatz zu konventionellen Ansätzen einen exponentiellen Runtime-Vorteil haben«, sagt Tutschku. Das bedeutet: Probleme, an deren Lösung herkömmliche Computer ein ganzes Menschenleben rechnen würden, könnten mit einem Quantencomputer innerhalb von kurzer Zeit gelöst werden. Aber auch Probleme, die bislang riesige Rechenzentren beschäftigen, könnten mit weniger Energie bearbeitet werden - ein Meilenstein hin zum Green Computing.

Die Quantenmechanik bestimmt längst viele Bereiche unseres Lebens. Beispielsweise operieren Laser oder Kernspintomographen nach den Gesetzen der Quantenmechanik. Wenn Menschen Medikamente nehmen, die ihren Körper beeinflussen, sind die Wechselwirkungen ebenfalls im Detail durch Quantenchemie zu verstehen. Auch bei Impfstoffen ist das der Fall.

Anders als klassische Computer, die mithilfe von elektronischen Schaltkreisen arbeiten, operieren Quantencomputer auf Basis von quantenmechanischen Zuständen, die beispielweise in supraleitenden Qubits, wie von IBM oder Google hergestellt, realisiert werden. Zusammenfassend gibt es zwei sehr wichtige Phänomene im Innersten eines Quantencomputers, die es ihm erlauben, die Grenzen der konventionellen Rechenkapazität zu verschieben. Erstens: die Superposition. Vereinfacht gesagt bedeutet diese, dass ein Quantensystem gleichzeitig zwei einander überlagernde Zustände innehaben kann. Anders als konventionelle Computer kann ein Quantencomputer also mit »0«en und »1«en gleichzeitig arbeiten. Zweitens, und dieser Effekt ist laut Tutschku noch mächtiger, sorgt die Verschränkung dafür, dass zwei Teilchenmaximal miteinander korrelieren. Auch wenn sie räumlich getrennt sind, können sie nicht mehr unabhängig voneinander betrachtet werden. 

Enorme Rechenkapazität

Der Effekt der Superposition führt insbesondere dazu, dass Europas erster kommerziell betriebener Quantencomputer, der IBM Quantum System One, mit dem Tutschku am Fraunhofer IAO in Ehningen arbeitet, Daten »Quanten-parallel« statt nacheinander (oder klassisch parallelisiert) verarbeiten kann. Eine Metrik, die die Rechenkapazität eines Quantencomputers definiert, ist die Anzahl an Quantenbits (Qubits). Mit jedem zusätzlichen Qubit, das gemeinsam verwendet werden kann, verdoppelt sich die Leistung der QPU (Quantum Processing Unit). Bisher hatte der Quantum System One 27 supraleitende Qubits, bald soll er auf 127 aufgestockt werden. Neben der reinen Anzahl gibt es allerdings noch weitere, sehr wichtige Metriken, die die Leistungsfähigkeit von QPUs charakterisieren, beispielsweise die Güte der Informationsspeicherung und -verarbeitung, sogenannte Fidelitäten. 

© Fraunhofer IAO
»Quantencomputing hat das Potenzial, ein absoluter Gamechanger zu sein« Dr. Christian Tutschku, Leiter des Teams Quantencomputing am Fraunhofer IAO

Diese Rechenleistung ist für viele Unternehmen interessant. »Oft, wenn es um die Optimierung eines Problems geht, kann ein Quantencomputer theoretisch seine Stärken ausspielen«, sagt Christian Tutschku. Ein Unternehmen, das eine Lkw-Flotte betreibt, könne mit einem Quantencomputer aktuelle Stauinformationen viel schneller in seine Routen einarbeiten. Auch bei der Optimierung von komplexen Produktionsstraßen in Fabriken bietet die Technologie theoretisch Vorteile. Diese Möglichkeiten produktiv zu realisieren ist zentrale Aufgabe in angewandten Forschungsprojekten. 

Es gibt bereits einige Kooperationen zwischen dem Fraunhofer IAO und der deutschen Wirtschaft. Mit der Zeppelin GmbH, einem Vertriebspartner des Baumaschinenherstellers Caterpillar, entwickelt das Team Algorithmen, die die Preisentwicklung von gebrauchten Baggern, Radladern und Muldenkippern vorhersagt. Beim Maschinenbauer TRUMPF geht es um eine Bilderkennung, die kontrolliert, dass ein Laser beim Schneiden von Blechteilen nicht in die sogenannten Stege schneidet, die das Blech halten. 

Doch die Herausforderungen sind hoch. Immer, wenn ein Problem mit dem Quantencomputer gelöst werden soll, muss es das Team zunächst in eine Sprache übersetzen, die der Computer versteht. »Wir arbeiten mit einer Quantenmaschine«, sagt er. »Und das ist manchmal sehr schwierig.«  Beim Ausführen der konzipierten Algorithmen auf der echten QPU kommt es zu Fehlern oder Ungenauigkeiten. Das optimale Ergebnis kann im schlimmsten Fall vollständig im sogenannten Rauschen untergehen. Die aktuelle Ära wird infolgedessen als Noisy Intermediate Scale Quantum (NISQ) Ära bezeichnet.

Dynamische Entwicklung

Wenn man Tutschku nach dem Entwicklungsstand des Quantencomputings fragt, antwortet er mit einem Bild. »Aktuell lernen wir das Radfahren. Wir fahren zwar noch mit Stützrädern, aber wichtig ist, dass wir fahren können.« Später könne man dann auf ein Mountainbike, ein Rennrad oder ein Lastenrad umsteigen. Die Botschaft: Die Technologie des Quantencomputings wird nicht in den nächsten zwei oder drei Jahren fertig entwickelt sein.

Aber sie wird kommen – und dann sollten Firmen bereit dafür sein. »Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen ist es wichtig, dass sie schon jetzt den Stand der Forschung verfolgen«, sagt Tutschku. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten komplexes Wissen aufbauen und im besten Fall schon jetzt Quanten-Algorithmen vorbereiten, damit sie loslegen können, wenn die Hardware komplett einsatzbereit ist. »Sonst ist man ganz schnell abgehängt«, sagt Tutschku. Als assoziierte FuE-Projektpartner können Unternehmen dem vorbeugen.

Auch deshalb arbeitet das Fraunhofer IAO aktuell an der Roadmap Heilbronn-Franken. In Interviews mit Expertinnen und Experten wurde herausgearbeitet, wie die Region sich beim Thema Quantencomputing aufstellen könnte. »Wir befinden uns aktuell voll in diesem Prozess«, sagt Tutschku, in den verschiedene Unternehmen und Forschungseinrichtungen eingebunden sind. Es ist ein guter Zeitpunkt für eine regionale Strategie. Denn das Quantencomputing verlässt gerade die Forschungswelt und wird in ersten praktischen Anwendungen getestet. Doch dafür ist ein langer Atem notwendig. Und wenn der Quantencomputer in Zukunft gesellschaftliche Probleme, wie den hohen Energieverbrauch von Rechenzentren, lösen könnte, wäre er ein wahrer Gamechanger. 

Einblick

Forschung im Bereich Quantencomputing am Fraunhofer IAO

Studie

Potenziale und Bedarfe des Quantencomputing-Ökosystems

Lesetipp

Wasserstoff für die Region