Die Identifikation mehrwertstiftender KI-Anwendungsfälle (Use Cases) steht auf der Agenda vieler Versorgungsunternehmen, welche sich die Potenziale der Technologie zu Nutze machen wollen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen und außerdem nicht den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren. Soll KI im Unternehmen nachhaltig eingeführt werden, ist neben den organisatorischen und qualifizierenden Aktivitäten auch die Wahl der richtigen Use Cases erfolgsentscheidend. Werden diese sinnvoll gewählt, kann die Wahrscheinlichkeit eines mehrwertstiftenden Einsatzes erhöht und gleichzeitig können unternehmerische und technische Risiken einer Fehlentwicklung minimiert werden. Zudem wird so die Akzeptanz unter den Mitarbeiter*innen gegenüber KI maßgeblich erhöht, wichtige Erfahrungen werden gesammelt und erfolgskritisches Wissen kann aufgebaut werden. Doch wie kann im eigenen Unternehmen ein erster Use Case identifiziert werden? Hierfür haben wir einen strukturierten Ansatz entwickelt, der Versorgungsunternehmen dabei unterstützt, Schritt für Schritt geeignete KI-Anwendungsfälle zu identifizieren.
Gerade bei der erstmaligen Einführung von KI zur Optimierung von Geschäftsprozessen oder zur Innovation des Leistungsangebots eines Unternehmens kommt der Wahl des richtigen Use Case eine besondere Bedeutung zu. Hierbei sollte es keinesfalls darum gehen, KI der Sache wegen einzuführen, denn KI darf niemals ein Selbstzweck sein. Vielmehr ist die Herausforderung, unter den vielen potenziellen Anwendungsmöglichkeiten, Geschäftsbereichen und Problemstellungen jene auszuwählen, die eine bestmögliche Kombination aus Erfolgswahrscheinlichkeit, Mehrwert und Mitteleinsatz aufweisen. Ebenso wichtig wie eine strukturierte Identifikation von Use Cases sind allerdings entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen. So sollte noch vor dem ersten Use Case eine unternehmensweite Sensibilisierung zum geplanten Einsatz und Mehrwert von KI stattfinden sowie eine grundlegende Aufklärung der Mitarbeitenden bezüglich der Potenziale und Grenzen von KI erfolgen. Zudem ist eine KI-Vision hilfreich, an welcher sich die einzelnen Aktivitäten ausrichten. Anschließend kann die strukturierte Annäherung an einzelne Anwendungsfälle erfolgen. Dazu werden im ersten Schritt die möglichen Anwendungsfelder eingegrenzt, im zweiten Schritt werden verschiedene Ideen für Use Cases im jeweiligen Anwendungsfeld gesammelt, die im dritten Schritt genauer beschrieben, bewertet und priorisiert werden. Anschließend gilt es, die priorisierten und für die weitere Bearbeitung ausgewählten Use Cases detailliert auszuarbeiten und das Ziel des Projekts sowie den Ressourceneinsatz zu klären.
Vor der eigentlichen Suche nach möglichen Use Cases sollten Unternehmen zunächst den Bereich der potenziellen KI-Anwendungsfälle eingrenzen, indem sie ihr Suchfeld auf bestimmte Geschäftsbereiche, Produkte oder Services beschränken. Um den internen Anspruchsgruppen den Mehrwert von KI zu vermitteln, ist es oft hifreich, sich dabei zunächst auf branchenspezifische Anwendungsfelder zu konzentrieren. Idealerweise lässt sich die Eingrenzung des Suchfeldes aus der übergeordneten Unternehmensvision ableiten. Auf diese Weise begründete Entscheidungen sind nachvollziehbarer und erhöhen die Akzeptanz unter den Mitarbeiter*innen.
Sind diese vorbereitenden Schritte durchlaufen, beginnt die eigentliche Suche nach Anwendungsfällen. Dabei geht es zunächst darum, verschiedene Ideen zu sammeln und zentral zusammenzuführen. Grundsätzlich gibt es hierfür drei mögliche Ansätze: So kann die Ideensammlung aus technologischer, problem- oder datenorientierter Perspektive erfolgen. Weitere Informationen zu den drei möglichen Ansätzen finden Sie weiter unten.
Nach erfolgter Sammlung gilt es, eine Bewertung und Priorisierung der identifizierten Use Cases vorzunehmen. Um diese möglichst transparent und objektiv zu gestalten, empfiehlt es sich, auch hier einer strukturierten Vorgehensweise zu folgen. So kann beispielsweise ein Use-Case-Canvas dabei helfen, verschiedene Ideen ganzheitlich zu erfassen und einen direkten Vergleich auf Basis einheitlicher Kriterien zu ermöglichen. Bei einem Use-Case-Canvas handelt es sich um einen strukturierten Steckbrief, welcher alle entscheidungsrelevanten Elemente eines Use Case beschreiben sollte.
Nach erfolgter Priorisierung gilt es, die ausgewählten Projekte weiter zu detaillieren. Hierzu gehört neben einer genauen Auseinandersetzung mit den Zielvorgaben auch die Entscheidung, mit welchen Ressourcen und in welcher Akteurskonstellation (Make-or-Buy) die jeweiligen Anwendungsfälle umgesetzt werden sollen.
Hier gilt es, zunächst bestehende Probleme aus Unternehmenssicht zu identifizieren, welche später als Ansatzpunkt für den Einsatz von KI dienen können. Sollen (geschäfts-)prozessorientierte Anwendungsfälle identifiziert werden, ist eine detaillierte Analyse von vorhandenen Abläufen, der Prozesslandschaft und der so identifizierten Schwachstellen eine gute Ausgangsbasis. Zur Identifikation produkt- oder service-zentrierter KI-Use-Cases hingegen dienen Kundenbedürfnisse und -erlebnisse als Basis der Betrachtung. Auf diese Art können Lösungen entwickelt werden, die existierende Kundenprobleme adressieren.
Bei diesem Ansatz bilden praxisrelevante KI-Fähigkeiten den Ausgangspunkt. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, welche Möglichkeiten grundsätzliche KI-Fähigkeiten wie Bild- und Audioverarbeitung oder das Erkennen von Mustern in großen Datenmengen in den identifizierten Handlungsfeldern bieten können, um so eine chancenorientierte Identifikation von Handlungsfeldern zu ermöglichen. Auch am Markt erhältliche, standardisierte Anwendungen „von der Stange“ oder Anwendungsfälle in anderen Branchen können hier als Ausgangspunkt dienen.
Ausgehend von den im Unternehmen verfügbaren Daten gilt es, die Einsatzmöglichkeiten von KI zu analysieren. Hier sollten alle potenziellen Datenquellen egal ob intern, extern, strukturiert oder unstrukturiert – sowie Methoden der Datengenerierung Berücksichtigung finden. Der Vorteil dieses Ansatzes ist es, dass die Machbarkeit stets im Blick behalten wird und die Idee schon früh einem Realitätscheck unterzogen wird. Allerdings kann dieser Ansatz auch die Gefahr einer zu engen Betrachtung mit sich bringen.
Um eine zu einseitige Sichtweise zu verhindern, ist es unbedingt zu empfehlen, alle drei Perspektiven zu kombinieren. Während der problemorientierte Ansatz eine sehr offene Sammlung von möglichen Use Cases unterstützt, engen der technologie- und der datenorientierte Ansatz die Auswahl stärker ein, indem sie auch die technische und tatsächliche Machbarkeit berücksichtigen. Durch die Kombination der drei Perspektiven wird bereits zu einem frühen Zeitpunkt ein Abgleich vorgenommen zwischen zu lösenden Problemen und ihrer tatsächlichen Lösbarkeit. Nur so kann sowohl die Machbarkeit als auch die Umsetzung einer Idee frühzeitig realistisch und umfassend beurteilt werden.
Um potenzielle Use Cases gegenüberzustellen und eine Bewertung vorzunehmen, empfiehlt es sich, diese zunächst ganzheitlich darzustellen. Neben der Beschreibung von Grundidee, Mehrwert und Komplexität eines Use Case sollte zudem eine erste grobe Evaluation anhand einheitlicher Kriterien erfolgen. Für diesen Schritt eignet sich beispielsweise ein entsprechender Steckbrief, welcher im besten Fall an die branchenspezifischen Gegebenheiten (z. B. Datenschutzanforderungen oder Richtlinien) angepasst wurde. Dieser kann gezielt in die Prozesse des betrieblichen Vorschlagswesens integriert oder als Entscheidungsvorlage genutzt werden. Auf diese Weise kann eine objektive Vergleichbarkeit verschiedener Use Cases, aber auch eine Evaluation durch Außenstehende ermöglicht werden. Positiver Nebeneffekt: Der/die Ideengeber*in setzt sich ganzheitlich mit dem Use Case auseinander.
Die konsequente Nutzung einer solchen Vorlage kann ebenso wie eine strukturierte Vorgehensweise im Allgemeinen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diejenigen Use Cases zu identifizieren, welche einen realen Mehrwert liefern, mit akzeptablen Kosten und Risiken verbunden sind und zudem in einem überschaubaren Zeitrahmen bearbeitet werden können. Folglich steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit der Anwendung und die Akzeptanz für weitere KI-Aktivitäten wird deutlich erhöht.