Herr Neuhüttler, warum erfährt das Thema »Kognitive Dienstleistungen« plötzlich so eine enorme Aufmerksamkeit – und erhält mit dem KODIS gar eine eigene Forschungseinrichtung auf dem Bildungscampus Heilbronn?
Das hat sicher damit zu tun, dass sich seit einiger Zeit in diesem Bereich völlig neue Möglichkeiten auftun. Im Kern geht es bei Dienstleistungen darum, Kundinnen und Kunden bei bestimmten Aufgaben möglichst einfach und wertbringend zu unterstützen – vom Bezahlen im Parkhaus bis zur Wartung eines Windrads. Das Ziel ist, dass all die Vorgänge, die für das Funktionieren der modernen Gesellschaft zentral sind, möglichst reibungslos verlaufen. Neu ist, dass wir solche Dienstleistungen auf der Basis einer Vielzahl - von unterschiedlichen Daten entwickeln können. So können wir beispielsweise Daten aus der Vergangenheit nutzen, um bessere Entscheidungen für die Zukunft zu fällen. Wir können, wenn man so will, auf neue Weise aus Erfahrungen lernen und viele Zusammenhänge berücksichtigen. Das öffnet die Tür zu einem neuen Denken.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Bleiben wir beim Beispiel Parkhaus. Denkbar wäre, dass mir ein Parkhaus Informationen darüber sendet, wo gerade ein Platz frei ist – das ist simple Sensorik. Kognitive Dienstleistungen kommen ins Spiel, wenn das Parkhaus mir schon am Vortag sagen kann, wie voll es am nächsten Morgen um 9 Uhr sein wird. Möglich wird die Prognose durch eine Vielzahl von Daten: Welchen Wochentag haben wir? Wie wird das Wetter? Ist eine Veranstaltung in der Nähe? Sind vielleicht Ferien? Wenn man den Algorithmus richtig trainiert hat, errechnet er auf der Basis historischer Daten ein Zukunftsszenario, das mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Das ist im Grunde genommen Probabilistik – Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Wo kommen solche Systeme denn heute schon zum Einsatz?
In der Industrie etwa im Bereich der Wartung großer Maschinen. So lässt sich relativ zuverlässig berechnen, welche Komponenten und Teile wann verschlissen sind und ersetzt werden müssen. Die Basis dieses »Predictive Maintenance«, der vorausschauenden Wartung, sind einerseits Sensordaten, die uns darüber informieren, wie intensiv eine Maschine in Betrieb war. Und zum anderen Informationen darüber, wie lange die jeweiligen Einzelteile erfahrungsgemäß halten. Wir haben es hier mit einem Meer an Daten zu tun, aus dem der Algorithmus in Sekundenbruchteilen die richtigen Schlüsse ziehen kann. Solche Systeme können Unternehmen helfen, die Wartung besser zu planen und Maschinenausfälle zu verhindern. Von der Wartung von Windrädern über den Betrieb von Fernwärme- oder Wasserstoffnetzen bis zur Leerung großer Unterflurmülleimer: Smarte Systeme empfehlen uns, was wann zu tun ist. Sie können den Organisationsgrad und die Effizienz des Lebens in der modernen Gesellschaft enorm steigern – und auf diese Weise auch Ressourcen schonen.
Inwiefern helfen sie, Ressourcen zu schonen?
Die Aufgabe des Teams Digital Service Transformation am KODIS, das ich leite, ist es in erster Linie, produzierende Unternehmen dabei zu unterstützen, solche » Smart Services « zu entwickeln. Nehmen wir mal einen Maschinenbauer, von denen es hier in der Region sehr viele gibt. Bislang bestand das Geschäftsmodell solcher Unternehmen darin, Maschinen zu verkaufen. Wenn die Maschine nun aber permanent Daten liefert, lässt sich beobachten, ob sie tatsächlich effizient genutzt wird. Braucht der Kunde überhaupt, sagen wir, fünf solcher Maschinen? Oder braucht er im Winter vier und im Sommer nur drei – und die fünfte ist sowieso nur zur Sicherheit da? Wenn ich Transparenz über diese Daten habe, kann ich als Maschinenbauer neu denken: Anstelle von Maschinen könnte ich künftig Maschinenleistung oder sogar deren Ergebnisse verkaufen. Bei Druckluft, die in der Industrie in großen Mengen benötigt wird, passiert das schon. Hier werden keine Kompressoren mehr verkauft, sondern Druckluft, gemessen in Kubikmetern. Das bedeutet, der Kunde und seine individuellen Bedarfe werden bei der Leistungserbringung permanent berücksichtigt. Auf diese Weise entstehen völlig neue Geschäftsmodelle. Wir sprechen hier über maßgeschneiderte Lösungen, die Effizienz steigern und, weil viel weniger Maschinen ungenutzt herumstehen und Wartungseinsätze besser geplant werden, Ressourcen schonen.